Tatiana_Makeeva_AbschlussAusstellungOHO2015-31

Rede: Thomas Sandberg
OSTKREUZSCHULE Absolventen 2015
9. Abschlussausstellung der Ostkreuzschule für Fotografie 

«Liebe Studenten, Liebe Lehrerkollegen, Liebe ehemalige und neue Absolventen der Ostkreuzschule, Liebe Gäste,
OHO nennen die Studenten der Ostkreuzschule ihre heutige Ausstellung. Es scheint klar, die Absolventen möchten auf sich aufmerksam machen. Aber der Name entstammt nicht dieser verständlichen Regung, er war anders entstanden. Es lohnt sich kurz darauf ein zugehen. Die Studenten kamen auf die Idee für den Titel mal nicht nach einen übergeordneten Begriff zu suchen, nach einer gemeinsamen alles umfassenden Idee, sondern einfach zu schauen was bereits vorhanden ist. Ihr Gestaltungslehrer Grischa Meyer hat zu einem visuellen Experiment mit den vorhandenen Elementen ermuntert. Einerseits gab es das Buchstabenkürzel der Schule: OKS und andererseits den Namen des Ortes: HO. Der Titel OHO ist also im Grunde das Produkt eines sehr einfachen Experiments. Er ist entstanden, aus der simplen Neuzusammensetzung der Buchstaben. Es ist ein Logo, ein Icon, oder wie es in deutsch heisst: eine Wortbildmarke. Dazu möchte ich Euch beglückwünschen. Auch wenn wir Fotografen keine Kommunikationsdesigner im eigentlichen Sinne sind, so ist doch unser Feld die visuelle Kommunikation. Einer Kommunikation, die über das landläufig als Sprachlich Bezeichnete hinaus geht. Schauen was vorhanden ist, was die Realität bietet und aus deren Elementen etwas Neues, das eigene Bild formen, ist eine fotografische Methode. Wir finden das in den Arbeiten der heutigen Ausstellung. Johanna-Maria Fritz macht das, wenn sie die Artisten eines Zirkus in Island, nicht nur bei Training und Vorstellung fotografiert, sondern diese in die beeindruckende Landschaft dort stellt. Und Irina Thiessen inszeniert in ihrer Arbeit „Privet Germania“, Spätaussiedler aus Russland in ihren Wohnräumen. Aber es muss nicht immer so offensichtlich sein. Eine andere fotografische Position möchte die Dinge nicht verändern und bleibt dabei was der Wunderkasten Fotoapparat so besonders kann, das Vorgefundene einfrieren, es aus dem ewigen Continuum der Zeit herausheben und so anschaubar machen. Amelie Kahn-Ackermann schafft das in ihrer schönen Serie „Si jia gou – Denk an die Heimat“. Die Serie führt uns an den Ort der eigenen Ursprungsfamilie und hält nochmal fest, was vermutlich in wenigen Jahren nicht mehr existieren wird. Auch Julia Runge geht diesen Weg in ihrer Serie „Basterland“, sie zeigt uns die Nachfahren deutscher Kolonisatoren in Namibia. Jonas Feige mit seiner Arbeit „Nacht auf der Sonne“ geht einen weiteren Weg. Er nimmt was er vorfindet, transponiert es aber in eine eigene Bildwelt. Auch er sammelt, aber sein Bewusstsein filtert die Wirklichkeit und schafft dadurch etwas Neues. Etwas, das am Ende vor allem Ausdruck seiner eigenen inneren Realität wird. Einen ähnlichen Weg geht Stefan Hähnel in seiner Arbeit „rurik“. Er schaut auf das Reisen als kulturelle Tätigkeit. Er besucht Ziele, die abseits der Zivilisation liegen und entgegen seiner ursprünglichen Absicht findet er nicht nur Landschaft und Sehnsuchtsorte, sondern in der Landschaft, in den Dingen und Personen vor allem immer auch sich selbst. Das ein Fotograf auszieht die Welt zu fotografieren, am Ende aber auch bei der eigenen Wirklichkeit, also bei sich selbst ankommt, ist eine Erfahrung, um die man uns Fotografen ruhig beneiden darf. Und auch wenn das auf alle künstler-ische Tätigkeit zu trifft, grade bei der Fotografie, die als Medium so wirklichkeitsgebunden ist, darf einen das immer wieder überraschen. Leider kann ich nicht auf alle die gelungenen Arbeiten eingehen, eines haben sie gemein. Sie entstanden nicht nur aus dem Verfolgen und Umsetzen vorgefasster Ideen, sondern vor allem aus dem Experiment. Dem Experiment eine Kamera in die Hand zu nehmen sie auf die Welt zu richten, ohne vorher alles schon zu wissen. Dieser scheinbar einfachen Sache bleiben wir als Ostkreuzschule verpflichtet. Wir existieren nun als Schule bereits zehn Jahren. Wir haben das nicht gefeiert, aber dass dieses erfolgreiche Jahre waren, beweisen nicht nur die regelmässigen Ausstellungen, sondern zeigen unsere Absolventen bei deutschen und internationalen Wettbewerben. Auch dieses Jahr wieder sind gleich zwei Absolventen von Ute Malers letzter Abschlussklasse, Aras Götken und Kamil Sobolewski, im Wettbewerb „Gute Aussichten“ erwählt worden. Im Jahr davor konnte aus der Klasse Ludwig Rauch, Kilian Müller den Förderpreis der Zeitschrift Profifoto und Julia Runge den Publikumspreis des Entrepreneur Award 2014 gewinnen. Eine Studentin aus meiner Klasse gewann mit Ihrer Arbeit das Wüstenrot-Stipendium für Dokumentarfotografie und „Gute Aussichten“ dazu . Die ehemalige Studentin Steffi Schulz bekam für Ihre Arbeit „Duldung“ einen Förderpreis des Innenministers. Acht Arbeiten von ausgewählten Absolventen, konnten diesen Sommer auf dem Festival in Arles gezeigt werden. Und obwohl unsere Ausstellung dort im Off-Festival lief, war der Andrang so groß, dass wir glauben dürfen, die Sache kam auch beim Fachpublikum gut an. In dieser Ausstellung, heute, hat die Arbeit „über das chinesische Bergdorf von Amelie Kahn-Ackermann, ein Förderstipendium der Robert Bosch Stiftung bekommen und Johanna-Maria Fritz konnte mit ihren ersten Fotos vom „Sirkus Island“ die Isländische Fluggesellschaft überzeugen ihre Arbeit mit Freiflügen zu unterstützen. Im Gegenzug wurde die Serie in deren Bordmagazin veröffentlicht. Das ist alles schon sehr professionell und man darf fragen, wie passt das zu einer Schule, wie passt das noch zum Experimentellen? Machen wir uns nichts vor, wenn es zur Abschlussarbeit kommt, quasi dem Gesellenstück eines Fotografen, experimentiert man da eigentlich noch rum? Birgt das nicht die Gefahr in sich nur mal dieses und mal jenes zu probieren, keinen Weg richtig und endgültig einzuschlagen. Das Experiment zu schnell für etwas Endgültiges zu erachten und die Ergebnisse zu früh auszustellen. Ja man kann auf diese Weise scheitern. Aber jede schöpferische Arbeit birgt das Risiko des Scheiterns. Wenn Euch das nicht passiert ist, dann liegt es nicht nur daran, dass Eure Lehrer euch geschützt haben, sondern vor allem daran, dass Euch das bei uns Erlernte davor bewahrt hat. Erlernt hattet ihr neben den handwerklich praktischen Dingen, vor allem das Gefühl, nicht eher aufzuhören, bis Euch etwas in Euch selbst sagt: „Ja, so wie ich das hier gemacht habe, ist es richtig.“ Qualitätsanspruch bleibt wichtig, er kann einmal zu einer ökonomischen Größe für Euch werden. Liebe Absolventen, ihr bekommt dieser Tage von uns ein Zertifikat. Es ist ein Stück Papier das die Schulleitung und Euer Dozent unterschrieben hat. Ihr könnt es Euch einrahmen. Aber die eigentlichen Zertifikate hängen hier bereits an den Wänden. Das was zu Zertifizieren ist, steckt in Euren Arbeiten. Es ist etwas Ideelles, etwas von dem wir hoffen, dass ihr es in Euer Herz geschlossen habt. Wir hoffen, dass ihr Euch später gerne daran erinnert, und wenn ihr dann auf eine neue Arbeit schaut, da soll dann die Frage aufkommen: „Hätten wir diese Sache zusammen an der Ostkreuzschule für gut befunden?“ Und die Antwort möge auch dann lauten: „Ja, so wie ich es gemacht habe ist es richtig!“ Es sagt sich leicht, aber wir wissen alle, wie schwierig oft der Bewusstseins-prozess ist, der alleine mit der Themenfindung verbunden ist. Ich möchte ein einziges Beispiel dafür geben: Hier im ersten Gang hängt die Arbeit „Stadtfein“ von Andrea Jührs. Ihr Mentor Ludwig Rauch sagt, die Arbeit löst ein, was der Titel verspricht. Und es stimmt, das was die Fotografin sah und uns zeigen wollte, wird für uns in den Bildern sinnfällig. Diese Bilder sind im besten Sinne selbstver-ständlich, sie haben Leichtigkeit. Aber wir als Betrachter haben keine Ahnung davon aus welchem Grund und Humus die Sache bei Dir Andrea erwachsen war. Ich erinnere mich noch, an ein Gespräch mit Dir, wie Du noch im vergangenen Winter, keinen rechten Gegenstand für Deine Arbeit finden konntest. Erste Ideen hörten sich gut an. Ein Projekt war bereits begonnen, aber einmal die Kamera in die Hand genommen und danach die ersten Ergebnisse betrachtet, hatten sich die Ideen in Luft aufgelöst. Die Ideen führten nicht zu Bildern, sie waren nicht fotografisch. Ich vermute, Du fühltest Dich damals total gescheitert. Und ich könnte mir vorstellen, dass Du erwogen hattest den Abschluss auf ein späteres Jahr zu vertagen. Wie schön dass das nicht passiert ist. Ich kenne die Umstände nicht genau, die den Knoten platzen liessen und welcher glückliche Zufall Dir dann den Einfall für diese Geschichte brachte. Aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht an Zufälle. Viel eher scheint mir, dass die verworfenen Sachen, die Quälerei mit vorherigen Ideen, die sich gut anhörten, aber nicht funktionierten, die Misserfolge, also das Scheitern, für Dich notwendig waren. Der Betrachter sieht das nicht, Du Andrea, magst Dich daran erinnern. Auch daran, dass es vermutlich Dein Mentor war, der Dir im richtigen Moment Mut gemacht hatte ein früheres Experiment noch einmal aufzugreifen und nun richtig durch zu arbeiten. Und auch hier ist es das Experiment, gepaart mit Fleiß, das am Ende den Erfolg brachte. Und ganz anders als zB. in der Finanzwirtschaft sind die vorhergehenden Misserfolge, kein Manko, sondern bereichern Dich, sie bilden ein Haben auf dem Konto Deiner Erfahrung. So jetzt schliesse ich schon fast, vorher wollen wir Euch aber nochmal anschauen und gratulieren. Ich bitte nach vorne: Jonathan Allenberg, Tessa Ayling-Guhl, Stephanie Bonn, Helena Falabino, Jonas Feige, Johanna-Maria Fritz, Stefan Hähnel, Hannah Herzberg, Judith Johns, Andrea Jührs, Amelie Kahn-Ackermann, Bahar Kaygusuz, Christoph Kohlmann, Saskia Lux, Joseph Wolfgang Ohlert, Julia Runge, Anthea Schaap, Irina Thiessen und natürlich auch Ute Mahler und Ludwig Rauch. Auf der letzten Seite habe ich noch eine kleine Geschichte. Die Geschichte handelt von der Arbeit des Künstlers und was die kosten darf: Da kommt der Kaiser von China, nicht zu einem Fotografen, aber zu einem Tuschmaler. Er sagt: Meister, malt mir mal einen Hahn. Der Zeichner nimmt einen Bogen Papier, setzt den Pinsel an und zeichnet mit einem Strich einen Hahn. Das dauert nur wenige Sekunden. Oh das ist ein sehr schöner Hahn, sagt der Kaiser. Ja er ist gut geworden, antwortet der Meister. Was kostet der, fragt der Kaiser? Nun – der Hahn kostet eintausend Yuan. Was tausend Yuan für einen einzigen Hahn? Dafür hast Du nur wenige Sekunden gebraucht. Das kann höchsten ein Yuan wert sein. Da macht der Meister eine Tür zu einem Nebenraum auf und zeigt auf einen riesigen Berg offensichtlich weggeworfener Zeichnungen. Hier bitte, Majestät sehen sie – das sind neun-hundert-neun-und-neunzig schlechte Hähne. Da bezahlt der Kaiser wortlos die tausend Yuan und nahm die gelungene Zeichnung mit. In diesem Sinne wünsche ich Euch Stolz auf das was ihr bisher gearbeitet habt. Feiert Euren Erfolg und lernt mit den Misserfolgen zu leben, sie bereiten stets die nächsten Erfolge vor. Einem schöpferischen Menschen kann und darf nicht alles gelingen. Zu dem was Euch heute gelungen ist, möchten wir Euch nochmal ganz herzlich gratulieren. Ich wünsche der Ausstellung viel Erfolg und uns allen zusammen einen schönen Abend. Danke für die Aufmerksamkeit.»

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