Kunstpreis Fotografie 2017

Den Kunstpreis Fotografie 2017 erhielt Elke Seeger für ihre Arbeit „Capturing Nature – Fotografische Erkundungen“ / Zoo_2016/17.
Zwei Förderpreise gingen an die zwei ehemaligen Ostkreuzstudentinnen Lia Darjes für „Tempora Morte“ und Ira Thiessen für „PRIVET GERMANIA“.

Jury

– Ulrike Kremeier (Direktorin / Vorstandsmitglied KUNSTMUSEUM DIESELKRAFTWERK COTTBUS)
– Ludwig Rauch (freier Fotograf und Künstler, Dozent an der Ostkreuzschule für Fotografie, Berlin)
– Mathias Königschulte (Fotoredakteur taz, Berlin)

Ausstellung der Preisträger

Die Werke der Preisträgerinnen werden vom 1. November bis 29. Dezember 2017 im Haus der LAND BRANDENBURG LOTTO GmbH, Steinstraße 104-106, 14480 Potsdam, präsentiert.
Öffnungszeiten:
Mo – Do, 9.00 – 16.30 Uhr
Fr 9.00-13.00 Uhr
Weitere Zeiten für die Besichtigung sind gern nach telefonischer Abstimmung möglich.

Ira Thiessen (Foto © privat)

Lia Darjes

Lia Darjes ist seit 2015 Tutorin und Teilnehmerin der Meisterklasse Prof. Ute Mahler und Ingo Taubhorn an der Ostkreuzschule Berlin.

Tempora Morte (2016)

Im Herbst vor drei Jahren lud mich das Künstlerhaus Lukas für einen Monat nach Kaliningrad ein. Die russische Exklave zwischen Polen und Litauen – ehemals Ostpreußen – ist ein isolierter Ort, der wenig Entwicklung erfährt und der seine Vergangenheit auf eigentümliche Weise konserviert hält. In dieser stillstehenden Atmosphäre entdeckte ich eine visuelle Situation, die mich nicht mehr losließ: Jeden Tag entstehen an den Straßenrändern kleine inoffizielle Märkte, auf denen alte Frauen die bescheidene Ernte ihres Gartens oder des benachbarten Waldes zum Kauf anbieten um ihre Rente aufzubessern. Man sieht drei Äpfel, ein Bund Johannisbeeren und zwei Knollen Knoblauch auf einer einfachen Holzkiste. Zu anderen Jahreszeiten vielleicht zwei Glas selbstgekochte Erdbeermarmelade und drei Knollen rote Beete auf einem Campingtisch bis hin zu getrockneten Flundern oder etwas Bernstein auf bloßem Zeitungspapier.

Die Präsenz der Waren und die Art ihrer Darbietung faszinierten mich so sehr, dass ich 2016 insgesamt viermal nach Kaliningrad reiste, um sie in einer Stilllebenstudie zu dokumentieren. Das Warenangebot erinnerte mich an die Motive der klassischen Tradition des barocken Marktstilllebens und übte in seiner Einfachheit die Sehnsucht nach einer Welt ohne industrialisierten Handel in mir aus. Gleichzeitig stört die Materialität der Verpackungen, Tische und Tischdecken diesen Gesamteindruck. Eine scheinbar romantische Ursprünglichkeit trifft auf die Banalität und Rauheit des Alltags im Kaliningrad des 21. Jahrhunderts, wobei sich der gefühlte Rückgriff auf eine mythisch-stillgestandene Zeit – eine Art simulierte Erinnerung – für mich bezeichnenderweise erst in der Fotografie manifestiert und im Moment des Fotografierens noch nicht vorhanden ist. In Tempora Morte geht es mir darum, anhand von klassischen Verweisen herauszufinden, wie sich das Genre Stillleben heute positionieren lässt. Ich will das ästhetische Zusammenspiel von Referenz und Dokument ausloten.

Auszug der Jurybegründung:

Lia Darjes Arbeit wirft einen Blick auf die Konditionen unserer Gesellschaft mit unterschiedlichen sozialen Schichten, ökonomischen Systemen und ihren Zwischenräumen, die Freiräume bedeuten können, aber auch auf die basalen Determinanten existenzieller Notwendigkeiten verweisen. Jene Reflexion verweist durch ihre spezifische Bildsprache nicht nur auf die (kunsthistorisch aufgeladene) Schnittstelle zwischen Malerei und Fotografie, sondern verweist vor allem auf Kunst als ästhetische Praxis der kritischen Alltags- und Gesellschaftsbetrachtung.

Ira Thiessen

Ihren Abschluss in künstlerischer Fotografie machte sie 2015 mit dem Fotoprojekt „Privet Germania“ bei Ludwig Rauch an der Ostkreuzschule in Berlin. Heute lebt und arbeitet Ira Thiessen als freie Fotografin in Berlin.

PRIVET GERMANIA

In ihrer vermeintlichen „Heimat“ angekommen haben sie sich integriert, aber ihre Identität ist keine rein deutsche. Vor dem Hintergrund ihrer langen Geschichte im Zarenreich und später der Sowjetunion bildeten sich nach ihrer Rückkehr nach Deutschland spezifische Formen einer eigenständigen Kultur heraus. Die Frage nach dem Einfluss gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen auf die sogenannte hybride Identität der Russlanddeutschen habe ich zum Thema meiner Arbeit „PRIVET GERMANIA“ (dt. Hallo Deutschland) gemacht. Mich interessiert, inwieweit sich die sogenannte „deutsch-russische Kultur“ von außen betrachtet erkennen lässt. In meinen inszenierten Portraits verbinde ich dabei Elemente des Theaters und der Atelierfotografie.

Auszug der Jurybegründung:

Das Zusammenspiel von Requisiten und dem immer vorhandenen Vorhang im Hintergrund, unterstreicht die Individualität der Abgebildeten und isoliert sie aus deren Privatsphäre. Die Arbeit besteht aus zwei Präsentationformen. Den klassisch gerahmten Portraits an der Wand und den im Raum hängenden Vorhangausschnitten auf Acrylglas, die vor den jeweiligen Portraits platziert werden. Durch die konzipierte Installation ergeben sich für den Betrachter zwei Betrachtungsmöglichkeiten. Der Blick von außen, der oft auf oberflächlichen Vorstellungen verweist und der Blick von innen, der Einblicke in die Kultur und Identität der Russlanddeutschen erfahrbar macht. Jurybegründung Ira Thiessen ging originell an ein Thema heran, das zu den relevantesten und aktuellsten gehört, die derzeit die Menschen bewegen. So unterschiedlich diese Porträts sind, die mal Zerrissenheit, mal kulturellen Reichtum, mal die Erinnerung an eine oder mehrere verlorene Heimaten betonen, als so überzeugend wird das künstlerische Konzept und die Intensität des Ergebnisses empfunden.

Lia Darjes: aus der Serie „Tempora Morte“

Ira Thiessen: aus der Serie PRIVET GERMANIA